Ein Prolog des sorbisch- wendischen EU-Memorandums wurde in Brüssel an Präsident Barroso überreicht
22.6.2012
Brüssel / Budyzin - Das sorbisch- wendische Memorandum ist ein Notruf und spiegelt eine lebhafte Debatte wieder, die in Deutschland derzeit läuft. Mehrere sorbische Wissenschaftler, Schriftsteller und Berater, wie Ralph Kappler (Halo Energy), Dr. Peter Kroh (sorbisch Jan Skala Biograph), der Autor Dr. Jürgen Buchman (Encheridion Vandalicum) und Hannes Wilhelm-Kell (Luzyska Alianca) sind die Co-Autoren. Die Co-Autoren sind mit dem serbski Sejmik verbunden, der ersten Grass-Route-Bewegung in Richtung sorbischer Selbstdarstellung. Erstmals haben damit konkrete Informationen über Drohungen und Chancen für das sorbisch-wendische Gemeinde Top-Entscheidungsträger in der europäischen Hauptstadt Brüssel erreicht.
Die Sprachenpolitik der Europäischen Union ist weltweit beispiellos. Seit der Gründung diese ein Mittelpunkt der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Dynamik der Union. Aus diesem Grund ist auch Irisch eine der 23 offiziellen EU-Sprachen, obwohl nur 20000 Mensche es sprechen. Präsident wurde über den sorbischen Stand der Dinge in Deutschland informiert.
In dem Memorandum heißt es: "Witajso, Herr Präsident, dieser Brief kommt von einer der ältesten und am meisten bedrohten Minderheiten in Europa. " Die Sorben sind seit mehr als sechzehn Jahrhunderten in der Lausitz beheimatet und waren dort die "First Nation". Sachsen, Sorben und Wenden waren die ersten Vertreter der Wasser-und Mineral-reichen Lausitz Lužica Region. Diese ist eine der ältesten Kulturlandschaften in Europa. Diese Schätze könnten ein Segen sein. Aber es besteht ein Mangel an unabhängiger politischer Vertretung.
So werden Initiativen vorgeschlagen, eine nachhaltigere regionale Entwicklung und zur Förderung der sorbischen Kultur soll die Schaffung der Euroregion Lausitz erfolgen. Dieses lebendige sorbischen, deutschen, polnischen und tschechischen Grenzgebiet. Mehr als 130 Dörfer, die Hochburgen der sorbischen und wendischen Sprache und Tradition waren, wurden durch kurzsichtig wirtschaftliche Ausbeutung abgerissen für Kohle- Tagbau. Heute ist Vattenfall verantwortlich für die Zerstörung von sorbischen Flächen in der Größe der Stadtstaat Hamburg.
Spektakuläre finanzielle Gewinne, wertvolle Ressoucen und natürliche Wasservorkommen werden aus der Lausitz, gewonnen, während zur gleichen Zeit sorbische Schulen und sorbisch-eutschen bilinguale Kindergärten geschlossen werden. Daher setzt das sorbische Volk seine Hoffnung auch in die Arbeit der EU-Kommission und ihr Engagement für eine nachhaltige regionale Entwicklung.
Das Memorandum fordert Präsident Barroso auf, sein volles Gewicht der EU-Institutionen für die Initiierung eines deutsch-sorbischen Vertrages einzusetzen.
Memorandum im Original
An José Manuel Barroso
Präsident der Europäischen Kommission
Witajso, sehr geehrter Herr Präsident,
Die Sprachenpolitik der Europäischen Union ist weltweit beispiellos und seit ihrer Gründung das Herzstück ihrer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Dynamik. Aus diesem Grund ist auch Irisch mit nur ca. 20.000 Sprechenden eine der 23 offiziellen Amtssprachen der EU. Sie hatten während eines Gespräches in der Vertretung der EU-Kommission am 4.7. 2007 in Berlin um einen Brief zur Lage der Sorben und Wenden in Deutschland gebeten.
Ich sende Ihnen heute daher diesen Notruf und einen Prolog zum demnächst vorzulegenden Sorbischen Memorandum. Denn über dieses ist eben jetzt eine lebhafte Auseinandersetzung in Deutschland im Gang. Das Schreiben erreicht Sie heute von einer der ältesten und bedrohten Minderheiten Europas. Beheimatet sind Sorben seit über sechzehn Jahrhunderten als „First Nation“ in der sich über die Bundesländer Brandenburg und Sachsen
erstreckenden Lausitz. Sorben sind deren erste Fürsprecher und Anwälte. Die Lausitz oder Lužica, wie wir das wasser- und bodenschatzreiche Land nennen, ist eine der ältesten Kulturlandschaften Europas. Ihre Schätze können sich als Segen erweisen. Aber es fehlt an couragierter Politik und Selbstverwaltung. Die Chancen einer EUROREGION LAUSITZ, die das einzigartige Kontaktgebiet slawischer und germanischer Sprachen bietet, verkümmern in vielen Bereichen ungenutzt. Wir befürchten sogar, dass diese in kurzer Zeit unwiderruflich
verloren gehen.
Wir zeigen an: Mehr als 130 Dörfer, die Horte der sorbischen Sprache und Überlieferung waren, und Kulturlandschaften von der Größe des Stadtstaates Hamburg wurden durch blinde Wirtschaftspolitik und die entfesselte Kohleausbeutung vernichtet. Von deren spektakulären Gewinnen unserem Volk nur Almosen hingeworfen werden. Daher setzen Sorben ihre Hoffnung inzwischen auch auf die EU-Kommission und Ihr Engagement für die nachhaltige Entwicklung und Stärkung der Regionen.
Wir bitten Sie, sehr verehrter Herr Präsident, sich mit Ihrem ganzen politischen Gewicht für das Zustandekommen eines Deutsch-Sorbischen Gesellschaftsvertrages einzusetzen, in dem die deutsche Seite konkrete politische und wirtschaftliche Konsequenzen aus ihrer historischen Schuld zieht.
Im Kern geht es um drei Punkte:
1. die unverzügliche Einführung der von den deutschen Landesverfassungen vorgesehenen politischen Selbstbestimmung der Sorben;
2. die gesetzliche Verankerung der sorbischen (Teil-)Ansprüche auf die künftige Nutzung der Lausitzer Bodenschätze und ihre gesetzlich garantierte Mitbestimmung beim ökologischen Schutz und der ökologischen Sanierung der sorbischen Heimat;
3. eine finanzielle Soforthilfe, um die durch deutsche Eingriffe beschädigten Bildungsstrukturen zu reparieren und das Überleben der sorbischen Sprachen und Kultur mittelfristig zu sichern.
Ohne das beherzte Engagement der EU-Kommission wird es aber keinen Durchbruch geben, das lehrt die EU-Geschichte. Es handelt sich in diesem Versöhnungsdokument um einen Vertrag von europäischem Rang, in dem es um die Zukunft einer europäischen Nation geht. Das Zustandekommen eines solchen Versöhnungsvertrages kann daher kein Gegenstand von Verhandlungen allein zwischen Sorben und Deutschen sein, sondern bedarf einer europäischen Wahrnehmung und Unterstützung und ist angewiesen auf das ganze politische Gewicht der Brüsseler Institutionen.
Das Überleben des sorbischen Volkes sieht sich heute einer dramatischen Gefährdung ausgesetzt. Eine der wesentlichen Ursachen ist, dass der Deutsche Einigungsvertrag die Rechte und Interessen der Sorben inhaltlich und formal unzureichend erfasst. Die Protokollnotiz Nr.14 zu Artikel 35 des Einigungsvertrages berücksichtigt zum einen nicht die einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen, die unter anderem in der UNOResolution
61/295 (Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker) oder im „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ kodifiziert sind. Sie widersprechen damit Geist und Buchstaben des Artikels 25 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Zum anderen nimmt die Protokollnotiz keinen Bezug auf die Eigentumsrechte des sorbischen Volkes an den enormen Bodenschätzen seiner Heimat. Der faktische Umgang mit diesen Reichtümern kommt einer Kolonisierung gleich, weil Mitspracherechte des sorbischen Volkes nur rudimentär möglich sind. Eine demokratisch zu legitimierende Vertretung des Sorbischen Volkes soll das künftig ändern. In der Sorbenheimat wurden
Edelmetalle im mehrstelligen Milliardenwert entdeckt, neben seltenen Erden auch Gold, Platin und ca. über 2,7 Millionen Tonnen Kupferschiefer. Es gibt keinerlei Transparenz und Bürgerbeteiligung bei der Schürfrechtvergabe durch deutsche Behörden, deren Rechtmäßigkeit aufgrund der Lücken des Deutschen Einigungsvertrags darüber hinaus vollkommen ungeklärt ist. Das deutsches Bergrecht bricht elementare Gesetze, so z.B. den in der brandenburgischen Verfassung festgeschrieben Schutz des Siedlungsgebietes.
Schließlich enthält die Protokollnotiz relativ unverbindliche, nur schwammige Formulierungen zu den Fragen der sorbischen Kultur und Sprache. Das führte bekanntlich im Juli 2007 dazu, dass auf der Grundlage von Statements aus dem Bundesrechnungshof und dem Bundesverwaltungsamt die Fördermittel gekürzt werden sollten. Dieser Verstoß gegen Artikel 45 (2) des Einigungsvertrages konnte seinerzeit nur durch ein international, vor allem in den slawischen Ländern beachtetes Memorandum der Sorben und durch mehrere Demonstrationen in Bautzen und Berlin korrigiert werden. Selbst die wenigen Rechte, die dem sorbischen Volk verblieben sind, werden also von der aktuellen deutschen Politik durch willkürliche ad hoc-Entscheidungen unterlaufen.
Jüngstes Beispiel dafür im Land Brandenburg ist die angedrohte Kürzung der Mittel für das „Witaj“-Projekt, also für die frühkindliche zweisprachige Erziehung, die einen vernichtenden Schlag für das erfolgreich angelaufene Projekt zur Rettung der sorbischen Sprache bedeuten würde. Um die Defizite des Einigungsvertrages im Interesse des sorbischen Volkes zu korrigieren, müsste – in Anlehnung an Art.113 der Weimarer Verfassung –das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland um einen Artikel ergänzt werden, der die Rechte unseres Volkes schützt. In diesem Zusammenhang wäre zudem Art.116 (1) GG zu thematisieren. Die derzeitige Fassung: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist…, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt…“ erfasst nicht die Tatsache, dass Sorbinnen und Sorben zwar deutsche Staatsangehörige, aber nicht Deutsche, sondern nach Sprache, Geschichte, Kultur und Tradition Slawen sind.
Sehr verehrter EU-Präsident José Manuel Barroso, gemeinsam haben wir hier Entscheidungen über die Zukunft Europas in der Hand. In sechzehn Jahrhunderten haben Sorben einen kostbaren Schatz an Erfahrungen und nachhaltigen Überlebensstrategien sammeln können. Auch diesen Schatz, nicht nur unsere Bodenschätze, bringen wir als unseren Beitrag in einem Europa der Nationen mit Freude ein. Mit Dankbarkeit haben Sorben in der Lausitz registriert, dass auf meine Ansprache hin der seinerzeit amtierende EU-Parlamentspräsident, Jerzy Buzek, die Schirmherrschaft für eine sorbische Musikkonferenz in der Lausitz übernommen hat. Auch diese politische Geste beflügelt dieses Memorandum. Da es bereits ein kurzes persönliches Gespräch mit Ihnen und Kabinettschef
Johannes Laitenberger in Berlin gab, gehe ich davon aus, dass das Memorandum in seiner weiterreichenden Bedeutung von der Kommission aufgenommen und beantwortet wird. Bei dieser Gelegenheit wollen wir nicht versäumen, Sie als jederzeit willkommenen Gast in die Luzica einzuladen, so dass Sie mit eigenen Augen deren Schönheit und Gastfreundschaft erleben können.
Ich freue mich auf Ihre Nachricht. In diesem Sinne auch ein herzliches Witajce k nam!
Hochachtungsvoll Brüssel/ Budysin, 7. Juni 2012
Ralph Th. Kappler
TomasKappa
Cc EU-Parlamentpräsident
EU-Ratspräsident
Bundeskanzlerin
König von Schweden